Die Zeugen einer Straftat erinnern sich oft nicht an Details. Kann Hypnosetherapie bei der Vernehmung helfen?
Als die Frau in den Rückspiegel sieht, erblickt sie für einen Augenblick das Gesicht eines Mannes, der ihr seltsam vorkommt. Aber da es bereits dämmert, erkennt sie nicht viel. Es ist der Herbst 2016. Tage später werden Kriminalbeamte sie auf dem Polizeipräsidium bitten, das Aussehen jenes Mannes zu beschreiben, den die Polizisten für einen Mörder halten. Sie ist die einzige Zeugin. Aber die Erinnerung fällt ihr schwer. Die Ermittler lassen ein Phantombild nach ihren Beschreibungen anfertigen. Die Zeugin findet, es ähnele dem Mann kaum. Die Hoffnung der Ermittler zerschlägt sich. Die junge Frau ist die Einzige, die den Mörder der Joggerin in Tatortnähe gesehen hat.
So schildert den Fall der frühere Ermittler und Polizeisprecher Walter Roth in seinem Buch Soko Erle. Doch die Enttäuschung währte nicht lange. Die Kriminalbeamten griffen zu einem in der Öffentlichkeit kaum bekannten Mittel. Ein professionell geschulter Hypnosetherapeut sollte die Zeugin in einen tranceartigen Zustand versetzen, um ihr Gedächtnis anzukurbeln. Das ist seit Jahren eine erprobte Methode: die forensische Hypnose.
Immer wieder stehen Ermittlerinnen vor dem Problem, dass sie schwere Straftaten aufklären müssen, aber Zeugen sich nicht an wichtige Details erinnern. In solchen Fällen wenden sich die Ermittler und auch Expertinnen der Operativen Fallanalyse, sogenannte Profiler an professionelle Hypnosetherapeuten. Diese hypnotisieren z.B. Zeugen im Auftrag der Polizei. Dabei gehört Hypnosetherapie mit ihren Wirkungen zu den Leistungen, die wissenschaftlich gut belegt ist. Aber eignet sich Hypnose auch für kriminalistische Zwecke?
Einige Strafprozessordnungen verbieten Vernehmungsmethoden von Beschuldigten und Zeugen, die den freien Willen beschneiden. Dennoch dürfen Kriminalbeamte in Deutschland z.B. die forensische Hypnose unter zwei Voraussetzungen zulassen: zum einen, wenn der jeweilige Zeuge einverstanden ist, und zum anderen, wenn die zuständige Staatsanwaltschaft zustimmt. Letztere begründen den Einsatz forensischer Hypnose häufig damit, dass sie Zeuginnen, die sich erinnern wollen, aber nicht können, unterstütze.
Die forensische Hypnose wird meistens nur bei schweren Straftaten eingesetzt. Ziel ist, dass die Zeugen sich nach der Hypnose an Ereignisse und Dinge erinnerten, die sie vergessen hatten. Wer schon einmal versucht hat, sich krampfhaft an den Namen eines bestimmten Liedinterpreten zu erinnern, weiß, dass dies oft zum Scheitern verurteilt ist. Die forensische Hypnose nimmt diesen Druck. Ein entspannter Trancezustand erleichtert den Zugang zu manchen Informationen in unserem Gehirn. Auch die Ermittler im Mordfall hofften, dass sich die Augenzeugin in Trance an wichtige Details erinnern würde. Doch vorher führen Hypnotherapeut und Ermittler immer ein Gespräch.
Meist bespricht der zuständige Kriminalbeamte mit dem Hypnosetherapeuten zunächst das Ziel der Hypnose. Der forensischer Hypnosetherapeut bekommt einen Überblick über die Aktenlage und darf teilweise die Vernehmungsprotokolle lesen. So entwickelt er eine Vorstellung vom Zeugen und von der Tat. Die forensische Hypnose selbst findet dann in einem Zeugenvernehmungszimmer der Polizei statt. Vor der Hypnose fordert der Therapeut den Zeugen auf, noch mal alles zu erzählen, was er im Wachzustand weiß. Die eigentliche Sitzung wird dann von einer Videokamera aufgezeichnet. In einigen Ländern dürfen die Ermittlerinnen bei der Sitzung per Video zuschauen und währenddessen Detailfragen an den Hypnotherapeuten schicken.
Dort halten sich nur der Hypnotiseur und der Zeuge im Raum auf. Die Sitzung wird aufgezeichnet und der Zeuge darf später entscheiden, ob er es für die Ermittlerinnen freigibt. Mit dieser Praxis soll ausgeschlossen werden, dass sich Zeugen während der Hypnose vor den Ermittlerinnen selbst belasten. Eine doppelte Vorsichtsmaßnahme – für die Polizei gerichtlich verwendbar ist sowieso nur das, was der Zeuge in der Vernehmung nach der Hypnose erzählt. Denn nur Informationen, die im normalen Wachzustand gewonnen werden, haben vor Gericht Bestand.
Bringt diese ungewöhnliche Methode die entscheidende Wende in Ermittlungen? Ein Fall, der für Aufsehen sorgte, legt dies auf den ersten Blick nahe. Bei der Suche des sogenannten Autobahnrasers von Karlsruhe hat die forensische Hypnosesitzung eines Zeugen wesentliche Hinweise geliefert. Durch dichtes Auffahren verursachte ein junger Fahrer einen Unfall, bei dem eine Mutter und ihr Kleinkind starben. Der Fahrer flüchtete mit seinem Wagen und verschwand. Lange war nicht klar, welches Kennzeichen das Tatfahrzeug hatte.
Um den Kreis der 340 verdächtigen Autos einzugrenzen, willigten zwei Augenzeugen ein, sich einer forensischen Hypnose zu unterziehen. Danach vernahmen die Ermittler die Zeugen erneut. Jetzt konnte sich ein Zeuge an die Zwischenbuchstaben des Autokennzeichens erinnern. Er glaube, dass es sich um dreieckige Buchstaben gehandelt habe – also ein V oder ein A. Die Polizisten priorisierten diese Spur und tatsächlich: Die Beschreibung passte genau zur bereits existierenden Polizeispur Nummer 90, mit dem Kennzeichen BB-AA 374. Später sollte sich herausstellen, dass es sich tatsächlich um das Tatfahrzeug handelte. Forensische Hypnose kann Ermittlerinnen also dabei helfen, bestimmte Spuren schneller abzuarbeiten und die Ermittlungen zu beschleunigen.
Zum entscheidenden Durchbruch hat die Hypnose bisher vor allem in schwierigen Fällen verholfen. Auch im eingangs erwähnten Mordfall der Joggerin konnte sich die Zeugin später an mehr Merkmale des Mannes im Rückspiegel erinnern und die Aussagekraft des Phantombilds schärfen.
Mittlerweile thematisieren auch Fachhochschulen und zentrale Einrichtungen der Polizei die forensische Hypnose. Eine Soko würde kaum Spuren aufgrund einer Hypnose ausschließen, sondern allenfalls priorisieren. Um herauszufinden, wie effizient das Instrument der forensischen Hypnose wirklich ist, müsste jeder Fall einzeln evaluiert werden.